Logischer Empirismus und Wiener Kreis: So politisch kann Philosophie sein

Die politische Seite der Philosophie am Beispiel des Logischen Empirismus im Wie
Die politische Seite der Philosophie am Beispiel des Logischen Empirismus im Wien und Berlin der Zwischenkriegszeit wird in einem Forschungsprojekt der Universität Wien untersucht. (Foto: Institut Wiener Kreis)

Der Logische Empirismus, eine der einflussreichsten philosophischen Strömungen des 20. Jh., stand lange im Ruf, in seiner Wissenschaftsphilosophie unkritisch, systemstabilisierend, sogar reaktionär gewesen zu sein. Der Politikwissenschafter Günther Sandner rückt dieses negative Image nun zurecht.

Kann politisches Engagement getrennt von Wissenschaft und Philosophie gesehen werden? Was den Logischen Empirismus betrifft, der aus dem berühmten Wiener Kreis entstanden ist, konnte diese wichtige Frage bis heute nicht beantwortet werden. Noch nicht.
Denn spätestens im Frühjahr 2016 wird Günther Sandner vom Institut Wiener Kreis und Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien die Ergebnisse seines Forschungsprojektes "Die Politik des Logischen Empirismus" präsentieren. Und darin klären: Beeinflussen die persönlichen politischen Haltungen der Logischen Empiristen ihre wissenschaftlichen Ansätze oder schützt sie die gemeinsame Orientierung an einer aufgeklärten Philosophie davor?
Keine spekulative Philosophie
Die sich Ende der 1920er Jahre herausbildende philosophische Richtung des Logischen Empirismus zählt zu den einflussreichsten wissenschaftstheoretischen Positionen des 20. Jahrhunderts. Basierend auf einem antimetaphysischen Ansatz wollte der Logische Empirismus den wissenschaftlichen Charakter der Philosophie stärken: "Eine wissenschaftliche Weltauffassung sollte begründet werden, die sich nicht in bloßen Spekulationen ergeht", resümiert Günther Sandner.

Günther Sandner ist den Logischen Empiristen auf der Spur: Er wühlt sich durch dutzende Archive und analysiert Texte über Texte. "Eine wichtige Basis waren zeitgenössische Zeitschriften der 1920er und 30er Jahre, deren exakte Analyse eine sehr zeitraubende Tätigkeit war und bei der ich glücklicherweise Unterstützung durch meinen Projektmitarbeiter Christian Pape hatte", so der Politikwissenschaftler. (Foto: Alte_Zeitungen_002 /Manfred Steger CC BY 2.0 )

Enge Verbindungen zum Wiener Kreis
Zwei intellektuelle Formationen des Logischen Empirismus stellen das Forschungsinteresse Günther Sandners im Speziellen dar. Und dabei interessiert er sich vor allem für deren Vertreter, Organisationsstrukturen, programmatische Grundlagen und politische Engagements. Einerseits geht es um die "Berliner Gesellschaft für empirische (wissenschaftliche) Philosophie" mit den deutschen Philosophen Hans Reichenbach, Walter Dubislav, Kurt Grelling oder Alexander Herzberg - "denn diese ist bis heute eher spärlich erforscht".
Andererseits wird der "Verein Ernst Mach" unter die Lupe genommen, der aus dem Wiener Kreis entstanden ist und dessen Ziel die Verbreitung der philosophischen Ideen der Logischen Empiristen war. Hier begegnen wir bekannten Persönlichkeiten wie Moritz Schlick, Hans Hahn oder Otto Neurath, über den Günther Sandner im Jahr 2014 eine Biographie veröffentlicht hat.
Spannend wird eine nähere Betrachtung der Organisationsgeschichten der beiden Vereine: "Sie haben sich nicht nur vollkommen unabhängig voneinander etwa zur gleichen Zeit 1927/28 gegründet, sondern sind auch in einem ähnlichen weltanschaulichen Umfeld entstanden - zum Teil mit wirklich überraschenden Überlappungen", so Günther Sandner. "Ich war sehr erstaunt, wie vielfältig das weltanschauliche und ideologische Milieu war, das die Entwicklung beeinflusst hat. Je weiter ich ins Detail gegangen bin, desto mehr bin ich auf intellektuelle und persönliche Querverbindungen gestoßen, mit denen ich in dieser Intensität nicht gerechnet habe."
Imagekorrektur
Obgleich sich die beiden Vereine Ernst Mach und die Berliner Gesellschaft primär als wissenschaftliche Gruppierungen verstanden hatten, wird durch Günther Sandners Forschungen eines offensichtlich: Auch politische Weltanschauungsorganisationen, wie etwa die Monisten oder die Freidenker, haben die Gründungen wesentlich beeinflusst. "Das heißt, man kann hier politisches Engagement in mehrfacher Hinsicht nachweisen - sowohl auf der Ebene der konkreten Aktivitäten der Vertreter als auch auf der theoretischen Ebene der programmatischen Grundlagen wie ihrer Manifeste", zieht Günther Sandner sein Fazit.
Diese neuen Erkenntnisse sollen nun in einer Reihe von Beiträgen in wissenschaftlichen Fachjournalen veröffentlicht werden. Vor allem wird deutlich werden, dass das negative Image des Logischen Empirismus, in seiner Wissenschaftsphilosophie unkritisch und systemstabilisierend gewesen zu sein, nicht mehr haltbar ist.
Denn die intellektuellen Herkunftsmilieus und politischen Sozialisationen der Mitglieder beweisen eher das Gegenteil: "Im programmatischen Manifest ’Wissenschaftliche Weltauffassung’ des Wiener Kreises ist z.B. explizit die Rede von sozialen und ökonomischen Reformbestrebungen. Das heißt, es handelte sich sogar um ein progressives, sozialreformerisches Milieu", erklärt Günther Sandner.
Auch Philosophen sind nur Menschen

Der deutscher Physiker, Philosoph und Logiker Hans Reichenbach (1891-1953) war einer der wichtigsten Vertreter der Berliner Gesellschaft für wissenschaftliche Philosophie. Er beteiligte sich auch an der Debatte um die Benennung der philosophischen Strömung und stellte dem auf Otto Neurath und Eino Kaila zurückgehenden Begriff Logischer Empirismus (Logical Empiricism) seinen "Logistic Empiricism" gegenüber. (Foto: Hans Reichenbach , Rechteinhaber ungeklärt)

Interessante Erkenntnisse lassen sich zudem aus den individualbiographischen Forschungen gewinnen. Hans Reichenbach etwa war in der Jugendbewegung und in der sozialistischen Studentenbewegung bis 1919 aktiv. Wie die Habilitationsakten zeigen, hatte diese Tatsache dem Physiker und Philosophen nicht nur in seinem Habilitationsverfahren Probleme bereitet. Sie ist auch im Hinblick auf seine spätere Position interessant, seine wissenschaftliche Arbeit habe nichts mit Politik zu tun.
Letztlich gibt es aber auch abseits der politischen Fragen die eine oder andere Anekdote zu berichten: So soll sich Philosoph Moritz Schlick geweigert haben, den Nationalökonomen Otto Neurath privat zu sich einzuladen. "Weil Neurath ein Mensch war, der laut und polternd war, sei eine Einladung in den vierten Bezirk, wo Mozartmusik gespielt und danach leise gesprochen wurde, für Schlick unmöglich gewesen", schmunzelt Günther Sandner darüber, dass "auch Philosophen nur Menschen sind", ob nun politisch engagiert oder nicht. (kb)

Das vom FWF geförderte Projekt "Die Politik des Logischen Empirismus. Der Verein Ernst Mach und die Gesellschaft für empirische/wissenschaftliche Philosophie" wird im Frühjahr 2016 abgeschlossen. Es wird vom Institut Wiener Kreis der Universität Wien unter der Leitung von Dr. Günther Sandner durchgeführt.