Frauen mit niedriger sozioökonomischer Herkunft halten sich für wenig talentiert

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Verzerrtes Selbstbild wirkt sich auch negativ auf Erfolgschancen aus

Abb. 1: C: Pexels / Zen Chung
Abb. 1: C: Pexels / Zen Chung
Frauen mit niedriger sozioökonomischer Herkunft halten sich für weniger talentiert als alle anderen Gruppen - selbst dann, wenn sie die gleichen Leistungen erbringen. Das, zeigt eine neue Studie unter Leitung der Universität Wien. Diese Fehleinschätzung trägt zur ausgeprägten Benachteiligung in Domänen wie MINT-Fächern bei, in denen Talent als wichtiger Erfolgsfaktor gesehen wird. Die Sozialpsychologin Christina Bauer von der Universität Wien hat diese Kernaussagen ihrer neuesten Forschungsarbeiten nun in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Learning and Instruction publiziert - und mögliche Lösungen für diese Problematik vorgeschlagen.

Frauen und Menschen mit niedriger sozioökonomischer Herkunft werden häufig als weniger talentiert eingeschätzt, was zu Diskriminierungserfahrungen beitragen kann. "Während ein Mann mit sehr guten Noten eher als Genie beurteilt wird, werden Frauen mit gleichen Leistungen zum Beispiel eher als fleißig gesehen", schildert Christina Bauer. Menschen aus Familien mit niedrigerem sozioökonomischen Status werden zudem generell als weniger leistungsfähig gesehen. Die Sozialpsychologin Christina Bauer und ihre Kollegin Veronika Job, beide von der Universität Wien, haben nun untersucht, wie sich diese gesellschaftliche Wahrnehmung auf das Selbstbild jener Menschen auswirkt und wie ihre Lebenswege in weiterer Folge davon beeinflusst werden.

Weibliches Geschlecht und niedriger sozioökonomischer Status - weniger Talent?

Bauer und Job führten zwei Studien mit insgesamt 1.600 Studierenden in Deutschland und den USA durch. Das Ergebnis: Im Vergleich von allen Subgruppen beurteilten sich Frauen mit niedrigerer sozioökonomischer Herkunft am wenigsten als talentiert - selbst, wenn sie genauso gute Studien-Leistungen wie alle anderen zeigten. "Unser Fazit: Das gesellschaftliche Außenbild und gesellschaftliche Hierarchien beeinflussen auch ganz stark das Selbstbild", so Bauer.

Diese sozialisierte Verzerrung der Selbstwahrnehmung bleibt nicht ohne Konsequenzen: "Frauen trauen sich also weniger zu, wodurch einerseits ihre Erfolgschancen sinken und einige Branchen und gesellschaftliche Bereiche sehr einseitig männerdominiert und wenig divers sind", erklärt Bauer. Etwa fühlen sich Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status gerade in Bereichen, in denen Talent erwartet wird, weniger wohl, trauen sich weniger zu und bringen sich dadurch auch weniger ein. Das betrifft etwa den MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, und Technik), Jobs wie Unternehmensberatungen, oder auch Hobbys wie Schach. "Diese Sichtweise hat weitreichenden Konsequenzen für die Erfolgschancen der Betroffenen in diesen Bereichen", so Bauer.

Fleiß-Prinzip statt Talente-Fokus als mögliche Lösung

Die Autor*innen schlagen auch Lösungsstrategien vor: In einem bereits publizierten Experiment konnte Bauer zeigen, dass sich Frauen mit niedrigerem sozioökonomischen nicht für weniger fleißig halten. Die aktuelle Studie zeigt, sie halten sich aber für weniger talentiert. Eine Möglichkeit, Benachteiligungen abzufedern, wäre also die Bedeutsamkeit von Eigenschaften wie Fleiß und harter Arbeit anstatt Talent gesellschaftlich stärker anzuerkennen. "Diese Anerkennung kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden: Wie wir über leistungsstarke Menschen reden - statt Genies anzupreisen, und auf "Streber" hinabzuschauen, Menschen für ihre harte Arbeit zu schätzen. Oder auch wie wir Feedback geben - konstruktives Feedback, das klarmacht, wie Menschen sich verbessern können anstatt blankes Lob oder Kritik ohne Entwicklungsperspektive", sagt Bauer.

Warum es zu diesem verzerrten Selbstbild kommt, wird Inhalt weiterer Studien sein. "Stereotype oder auch unterschiedliche Erfahrung mit Herausforderungen, die als Zeichen für fehlendes Talent missinterpretiert werden - könnten dabei eine Rolle spielen", so Bauer.

Originalpublikation:

Christina Bauer, und Veronika Job: Double Disadvantage: Female first-generation-students think of themselves as least talented, contributing to disproportionate disadvantage. Learning and Instruction.
DOI: https://doi.org/10.1016/j.lear­ninstruc.2­023.101865