Lipidchemie für Form des Zellkerns entscheidend

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(© Bild: Depositphotos)
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Der Zellkern ist von einer kugelförmigen Doppelmembran, der sogenannten Kernhülle, umgeben. Wissenschaftler sind seit langem fasziniert von der Frage, wie diese Hülle elastisch genug sein kann, um sich den Formveränderungen anzupassen, die Zellen bei ihrer Bewegung durch das Gewebe erfahren, aber auch starr genug, um die Integrität des Kerns zu erhalten. Eine Studie von Anete Romanauska und Alwin Köhler (Max Perutz Labs/MedUni Wien), die in Nature Cell Biology veröffentlicht wurde, deckt auf, dass die Chemie der Membranlipide für diese Vielseitigkeit entscheidend ist. Wenn diese Chemie gestört ist, werden die Kernmembranen steif und reißbar, und die Kerne verlieren ihre typische runde Form und werden zu einem Polyeder.

Die Kernhülle ist wichtig, um das Genom zu schützen und den Verkehr in und aus dem Kern zu regulieren. Anete Romanauska und Alwin Köhler von den Max Perutz Labs und der Abteilung für Molekulare Biologie der MedUni Wien stellten zunächst eine einfache, aber grundlegende Frage: Warum ist der Zellkern rund? Trotz der unterschiedlichen Kernformen in den verschiedenen Zelltypen, die von kugelförmig über eiförmig bis hin zu mehrlappig reichen, haben Zellkerne in der Regel keine Kanten.

Die beiden Wissenschafter:innen vermuteten, dass die Beschaffenheit der Lipide, genauer gesagt ihr Sättigungszustand, eine Rolle dabei spielen könnte, dass die Zellkerne rund bleiben. Die Lipidsättigung beschreibt, ob die Acylketten des Lipids linear oder geknickt sind. Wenn die Acylketten ungesättigt und geknickt sind, verleihen sie der Membran Elastizität und Fluidität. Umgekehrt machen gesättigte Lipide, die gerade sind und sich eng aneinanderschmiegen können, die Membranen starr und zähflüssig. Zumindest war dies die Annahme, die auf In-vitro-Experimenten mit synthetischen Membranen beruhte. Ob diese Annahmen auch in Zellen zutreffen, wurde nicht getestet, da es schwierig ist, die Lipidsättigung in Zellen kontrolliert zu verändern.

Den Forscher:innen gelang es, einen Kreislauf von Enzymen zu entwickeln, der die Lipidsättigung in Zellen erhöhte, und dann die Ergebnisse mit Hilfe moderner multimodaler Bildgebung zu beobachten. Die Folgen waren verblüffend: Zellkerne, die zuvor kugelförmig waren, wurden nun eckig und näherten sich der Form eines Polyeders an. Die Kernmembranen waren starr und planar geworden, und sie zeigten ein einzigartiges Muster der Lipidsegregation in geordnete und ungeordnete Phasen.
Vor allem die Kernporenkomplexe, riesige, in die Kernhülle eingebettete Kanäle, wurden aus der geordneten Phase ausgeschlossen und besetzten die ungeordnete Phase, die mit den verbleibenden, ungesättigten (geknickten) Lipiden angereichert ist. Wenn das Gleichgewicht zwischen gesättigten und ungesättigten Lipiden zur Sättigung hin gekippt war, wurden die Kernporenkomplexe defekt, und der Transport zwischen Kern und Zytoplasma war beeinträchtigt. Dies zeigte, dass Kernporenkomplexe spezifische Lipidanforderungen haben, um zu funktionieren. Interessanterweise wurden Lipidtröpfchen, die allgegenwärtige fettspeichernde Organellen sind, als Schlüsselakteure bei der Sequestrierung und Pufferung der Auswirkungen gesättigter Lipide identifiziert.

Wie Anete Romanauska es ausdrückt: "Unsere Forschung deckt einen grundlegenden Zusammenhang zwischen einer sehr subtilen Veränderung der Lipidchemie und der Integrität des gesamten Zellkerns auf. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf das Verständnis, wie die Funktion der Kernhülle durch die falsche Art von Lipiden gefährdet werden kann."

Eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie ist, dass Sauerstoffmangel das Gleichgewicht zwischen gesättigten und ungesättigten Lipiden stört, was zu einem ähnlichen lipidomischen Fingerabdruck und Kernphänotyp führt wie bei den gentechnisch veränderten Zellen. Unerwarteterweise werden die eckigen Kerne in beiden Situationen brüchig und brechen häufig, ein katastrophales Ereignis, bei dem zytoplasmatisches Material in den Kern eindringt. Dieser Befund könnte für die Krebsbiologie von Bedeutung sein, da Tumorzellen häufig unter Sauerstoffmangel leiden.

Die Studie deckt wesentliche, lipidzentrierte Mechanismen auf, die die Architektur und Funktion der Kernhülle bestimmen. Sie zeigt auch einen Weg zu therapeutischen Interventionen auf, die Krebszellen gezielt schädigen könnten. Romanauska und Köhler zeigen, dass die Bildung einer abgerundeten und elastischen Kernhülle das Ergebnis einer präzisen Choreographie ist, bei der der molekulare Tanz von gesättigten und ungesättigten Lipiden in einer Membran dem Zellkern sowohl Elastizität als auch Robustheit verleiht.

Publikation: Nature Cell Biology

Lipid saturation controls nuclear envelope function
Anete Romanauska & Alwin Köhler
’023 -01207-8